Die Crossmedia-Falle

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Die Crossmedia-Falle

Johannes F. Reichert - Medienzukunft gestalten - Professionelles Changemanagement und Organisationsentwicklung zu Veränderungsprozessen in Medienunternehmen

Eigentlich ist die Ausgangslage klar: Die Zukunft der Medien liegt im Digitalen. Tageszeitungen, lineares TV und Radio werden in den kommenden Jahren an Aufmerksamkeit verlieren, die Nachfrage nach nicht-lineare Angeboten in Web, Social Media und auf mobilen Endgeräten wächst dramatisch.



Also müssten folgerichtig die Ressourcen und Kompetenzen auch traditioneller und großer Medienunternehmen sukzessive in diese Richtung verschoben werden.
Müssten. Tun sie aber nicht immer, wie immer mehr Beispiele zeigen.

Die Anfangs-Euphorie crossmedialer Strategien: In klugen Papieren und engagierten Mitarbeiterversammlungen werden Integration  und Konvergenz betont. Bi- oder trimediale Arbeits- und Projektgruppen auf Augenhöhe werden eingerichtet. Newsroom-Konzepte mit gleichberechtigt nebeneinander sitzenden CvDs der alten und neuen Medien werden konzipiert. Die jahrelang belächelten Onliner sehen sich endlich als Kolleg/innen mit wichtigen Aufgaben respektiert.
Die neue Medienwelt scheint auf den ersten Blick auch in den alten Strukturen angekommen zu sein.

Angekommen in der neuen Medienwelt?

Am Ende der Klärungen und Prozesse aber, wenn Organigramme gebastelt, Zuständigkeiten und Workflows tatsächlich definiert werden, reiben sich manche verwundert die Augen:

  • In der Führungsmannschaft sitzen weiterhin nur die altbekannten Vertreter der klassischen Medien, kompetente Online-Entscheider finden sich lediglich in Nischen wieder.


  • Eine Verschiebung der Ressourcen in Richtung Online findet kaum statt. Neue Stellen für Datenjournalisten, Social Media Redakteure oder Info-Grafiker werden nicht geschaffen. "Das machen wir im zweiten Schritt!" - der nie stattfindet.


  • Personalentwicklung findet fast nur in eine Richtung statt: Die klassischen Journalisten erhalten ein wenig Basiswissen zu Facebook, Twitter, dem CMS. Den Online-Journalisten bleibt der Weg in die klassischen Medien dagegen verwehrt: "Zu anspruchsvoll!"


Besonders fatal:

  • Die redaktionelle Entscheidung, welche Themen und Formate online gespielt werden, treffen ausschließlich  'crossmediale' Ressortchefs und CvDs, die alle aus den alten Medien kommen: "Bewährte hochkompetente Journalisten" - mit Online-Halbwissen und ohne Gespür für die Potenziale und Nachfrage der digitalen Medienwelt.


Im Ergebnis

  • verschlechtert sich die Qualität der nicht-linearen Angebote, die noch mehr als zuvor orientiert sind am linearen Produktverständnis.


  • verliert das Unternehmen gerade in den Märkten, die sie unter dem Schlagwort 'Crossmedia' stärken wollte.


  • hat das Unternehmen viel Geld und Mühe aufgewandt und dennoch keine  Zukunftsfähigkeit hinzugewonnen.


Der Prozess hat damit genau das Gegenteil von dem erreicht, worauf er abzielte.

Dass dabei im Haus die bekannte Kultur der Dominanz klassischer Hierarchen gestärkt wird, dass die expliziten Vertreter von Innovation dauerhaft an Bedeutung verlieren, ist dabei eine untergeordnete Begleiterscheinung, ein Kollateralschaden.

Was passiert da? Gründe für das Scheitern von Crossmedia-Strategien

Systemischer Beharrungsreflex
Größere Medienunternehmen sind Systeme - interdependent, selbstorganisiert, sich selbst stabilisierend. Sie sind zunächst strukturkonservativ, ändern sich nur dann, wenn alle Ausweichmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Veränderungsimpulse werden deshalb vom bestehenden System eher absorbiert als in kleineren Einheiten. Wird die Unternehmenskultur im Prozess nicht mit gewandelt, bleiben die echten Veränderungen marginal.

Fehlendes Commitment der Führung
Manche Crossmedia-Initiativen werden von der Führung nur halbherzig initiiert ("Das klingt innovativ, das machen alle - also müssen wir auch was tun."). Spätestens bei den ersten großen Konflikten zwischen der bisherigen Linienorganisation und den crossmedialen Innovatoren entscheidet sich, wie belastbar das Commitment der Führung ist.  Der Ausweg sind meist halbherzige 'Kompromisse', die zentrale Bedingungen des crossmedialen Umbaus torpedieren.

'Ökologische Verträglichkeit'
Auch wenn das Zielbild der Führung mutig und zukunftsweisend ist: Größere Veränderungen sind nur möglich unter Einbeziehung der Führungskräfte und Mitarbeiter. Strategieprozesse (in Form von Arbeitsgruppen) werden meist nicht von den (wenigen) Vertretern der künftigen Medienwelt (vulgo: Onliner) dominiert, sondern mehrheitlich von Traditionalisten. Die Forderung nach 'ökologischer Verträglichkeit' der Veränderung lässt wirklich innovative Impulse versanden.

Fehlende Innovatoren

Nur wenige der größeren Medienunternehmen verfügen über Online-Journalisten mit hoher strategischer Kompetenz und ausgeprägtem Selbstverständnis als Innovatoren. Das liegt zu einem Teil daran, dass die bislang dort bespielbaren Formate eher konservativ sind (Web: Text, Bild, Video).
Zum anderen waren die 'zweitklassigen' Arbeitsbedingungen in den traditionellen Medienhäusern schon immer eher uninteressant für kreative und innovative Online-Spezialisten, die sich andere Arbeitgeber mit größeren Gestaltungsmöglichkeiten suchten.  

Eigeninteressen
Ist für Vertreter des mittleren Managements absehbar, dass Veränderung unausweichlich ist, beteiligen sie sich an ihrer Gestaltung - mit dem (legitimen) Ziel, sich auch in der neuen Situation angemessen positioniert zu sehen. Dieses Commitment ist jedoch oft genug rein funktional  für die eigene Position und ohne Bezug zu den Zielen des Veränderungsprozesses. Im Konfliktfall dominiert das Eigeninteresse zu Lasten der Projektziele..

Koalition der Traditionalisten
Ein erstaunliches Phänomen: Entscheider aus klassischen Funktionen (z.B. Radio und TV), die jahrelang um Etats und Kompetenzen rivalisiert haben, schließen sich dann zusammen, wenn sie einen gemeinsamen Gegner (Onliner oder Crossmedia-Projektgruppen) identifiziert haben.

Schmerzhafte Erkenntnisse

Diese Liste ließe sich fortsetzen. Tatsächlich spiegeln die Erfahrungen aus manchen gegenwärtigen Crossmedia-Projekten die Erkenntnisse aus Change Management und Organisationsentwicklung in modellhafter Weise wieder. (Mein Kollege Florian Grolman hat einige weitere gesammelt.)

Guter Wille der Strategen und ein effizientes Projektmanagement reichen bei weitem nicht aus, um die vielen Hindernisse auf dem Weg zu einer neuen Ausrichtung des Unternehmens oder der Redaktion zu bewältigen. Um erfolgreich zu sein, sollte sich jedes (größere) Veränderungsprojekt eine Change-Begleitung sichern.




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