Veränderung? Schon, aber sie darf nichts kosten!

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Veränderung? Schon, aber sie darf nichts kosten!

Johannes F. Reichert - Medienzukunft gestalten - Professionelles Changemanagement und Organisationsentwicklung zu Veränderungsprozessen in Medienunternehmen
Veröffentlicht von Johannes F. Reichert in Strategie · 31 März 2019
Tags: ChangeStrategieKopfschüttelnProjektmanagement
Zuerst die gute Nachricht: Es geht voran!

Zunehmend erkennen Entscheider in klassischen Medienunternehmen die Herausforderungen, die sich aus der Digitalisierung für ihr Geschäftsmodell ergeben. Folgerichtig haben einzelne Medienunternehmen damit begonnen, Strategien, Strukturen und Workflows nachzusteuern - die schwergewichtigen Tanker neu auszurichten. Endlich werden digitale Angebote für jüngeres Publikum ausgebaut, thematisch verwandte Redaktionen durch crossmediale Strukturen verbunden, Ressourcen in Richtung digitaler Produkte verschoben.

Alles gut also? Leider nein.
 
Eine schmerzhafte Erfahrung aus vielen Projekten, die ich begleitet habe:

Dieses ‚Nachsteuern‘ ist alles andere als trivial, es ist verbunden mit vielfältigen Lernprozessen innerhalb des Unternehmens:

  • Schulungen sind dabei die vordergründig sichtbaren Elemente der Veränderung: Das Erlernen von handwerklichen Tätigkeiten wie Texten, Bildbearbeitung, mobile reporting, Videoschnitt.
  • Doch damit ist das ‚Lernen‘ nicht beendet: Social Media Posts werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf die entsprechenden Zielgruppen zugeschnitten sind. Also: Medienforschung, Storytelling, Formatentwicklung.
  • Werden sinnvolle crossmediale Einheiten wie Newsrooms geschaffen, treffen dort Social Media-Expert*innen auf Kolleg*innen aus den klassischen Medien. Neue Arbeitsweisen an den Schnittstellen müssen abgestimmt und von allen gelernt werden.
  • In den neuen Teams treffen unterschiedliche Selbstverständnisse aufeinander, die z.T. jahrzehntelang eingeübt wurden und entsprechend verfestigt sind. Konflikte sind dabei vorprogrammiert und notwendig, um eine neue, arbeitsfähige Form zu finden.
  • Das Führen solcher neuen Teams erfordert oft ein anderes Selbstverständnis der Führungskraft als in der klassischen Linienorganisation. Zum einen treffen durch die Mitarbeiter*innen unterschiedliche Führungskulturen aufeinander, zum anderen besitzt die Führungskraft nicht die fachliche Kompetenz für alle Gewerke. Damit muss sie ihren Stil neu definieren.

Veränderung heißt deshalb vor allem: Lernen - auf allen Ebenen

Diese Lernprozesse sind unvermeidlich und notwendig, um Antworten auf die großen – für viele Unternehmen überlebenswichtigen - Herausforderungen zu entwickeln.
 
Nur leider:
Die realen Kosten einer solchen Veränderung werden oft nicht gesehen bzw. heruntergespielt.

Dass Trainings zum Aufbau neuer Fähigkeiten für Mitarbeiter*innen organisiert werden müssen, ist für alle Beteiligten noch plausibel. Vielleicht auch noch die Tatsache, dass Veränderungsprozesse, die tief in bestehende Kulturen eingreifen, auch professionell moderiert werden müssen.
 
Übersehen aber wird oft, dass solche Maßnahmen on top sind, dass sie nur begrenzt durch bestehenden Personalressourcen gedeckt sind. Während ein Teil der Mitarbeiter*innen mit Trainings, Workshops und Arbeitsgruppen befasst ist, müssen andere den laufenden Betrieb aufrechterhalten. Im Extremfall kann das dazu führen, dass Schichten nicht besetzt werden können, die verbleibenden Mitarbeiter*innen völlig überarbeitet und überlastet sind, die Produktqualität leidet.

Die Auswirkungen dieses Drucks auf die Akzeptanz des Veränderungsprozesses und seiner Ziele sind vorhersehbar und verständlich: „Schuld ist das neue Projekt!“

Lernen ohne zusätzliche Budgets

Die Aus- und Fortbildungsabteilungen der Unternehmen – zentrale Einrichtungen für Lernprozesse im Haus - sollen den Veränderungsprozess mit allen notwendigen Veranstaltungen fachlich kompetent begleiten und finanzieren. Doch auch für sie sind diese Aufgaben on top – zusätzlich zu den ohnehin geplanten Aufwänden aus einem Regelbetrieb. Denn zugleich auf bereits geplante Maßnahmen zu verzichten, ist nicht vorgesehen – eine Priorisierung findet nur selten statt. Mit seit Jahren unveränderten Budgets und Mitarbeitern soll nun von Jahr zu Jahr ein umfangreicheres Paket an Maßnahmen realisiert werden:
„Sie schaffen das schon!“
 
Nein – sie schaffen es nicht. Zumindest nicht ohne deutliche Qualitätsverluste.

Money matters
 
Entscheider sollten sich bewusst sein, dass ambitionierte Ziele in der Regel auch mit ausreichenden Ressourcen verbunden sein müssen. Es reicht nicht, Prozesse anzustoßen und darauf zu hoffen, dass es schon „irgendwie“ gehen wird. Ein tiefgreifender Veränderungsprozess ist eine strategische Investition in die Zukunft und braucht deshalb dezidierte zusätzliche Ressourcen: für ein leistungsfähiges Projektteam, für eine kompetente externe Begleitung, für betroffene Redaktionen und Abteilungen, für eine professionell arbeitende Aus- und Fortbildung.
 
Wer glaubt, in diesen Bereichen sparen zu können, wird schmerzhaft erleben, wie anfangs starke Ziele unter dem Druck des Faktischen zu lauwarmen und ungeliebten ‚Ideen‘ verkümmern.  

Auch das 'Wie' zählt.

Für jedes Veränderungsprojekt gilt:
Das 'Wie' des Prozesses ist aus der Sicht der Betroffenen mindestens genauso wichtig wie das 'Was':
Die Art und Weise, wie ein Projekt realisiert wird, steht aus Sicht der Mitarbeiter*innen modellhaft für die angestrebten künftigen Arbeitsweisen.

Ein Projekt, das permanent Projektteams, Aus- und Fortbildung und Mitarbeiter*innen überlastet, kann inhaltlich noch so attraktive Ziele bieten - es wird dennoch abgelehnt.
Ein Projekt dagegen, das mit ausreichend Ressourcen und einer klaren Priorisierung versehen ist, wird allein schon aufgrund der professionell-entspannten Arbeitsweise seiner Protagonisten als attraktiv und erstrebenswert angesehen. Es entwickelt auch inhaltlich den Sog, den sich seine Initiatoren wünschen.

In diesem Sinn sind gut ausgestattete Projekte und Prozesse auch in Zeiten knapper Ressourcen kein überflüssiger Luxus, sondern Voraussetzung dafür, dass die angestrebten Ziele und Arbeitsweisen bereits im Projektverlauf sichtbar werden und ihre Wirkung entfalten.



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